1. Herr Stöhr, was wird in diesem Jahr die Märkte bewegen?
Es bedarf keiner Kristallkugel, um mindestens zwei große Themen zu nennen: Brexit und Covid-19. Viele Menschen möchten am liebsten von beidem nichts mehr hören, aber die nunmehr beginnende nächste Phase – damit meine ich die mittel- und langfristigen Folgen von Brexit und Covid-19 – wird in wirtschaftlicher Hinsicht sehr spannend werden und dürfte einige Anlagemöglichkeiten bieten.
2. Können Sie Beispiele geben?
Wie es aussieht, wird die Pandemie dank der weltweiten Impfprogramme im Laufe dieses Jahres überwunden werden. Das wird die vollständige Öffnung der lokalen und globalen Wirtschaft nach sich ziehen. Viele Menschen sehnen sich danach, wieder zu verreisen, Restaurants und andere gastronomische Einrichtungen aufzusuchen oder Kultur- bzw. Sportveranstaltungen zu besuchen. Die entsprechenden Branchen werden also voraussichtlich massiv profitieren. Man kann das als Rückkehr zur Normalität bezeichnen. In der Tat haben inzwischen einige Länder die Beschränkungen aufgehoben und angekündigt, bald internationale Reisen zuzulassen, während viele Länder immer noch mit hohen Infektionsraten zu kämpfen haben.
Doch mindestens genauso interessant sind die Bereiche, in denen es möglicherweise keine Rückkehr zu den alten Gewohnheiten geben wird. Ich denke da zum Beispiel an E-Commerce – der Onlinehandel verzeichnet seit Ausbruch der Krankheit einen ungeheuren Boom. Auch dürfte es künftig deutlich mehr Menschen geben, die zumindest zeitweilig zuhause arbeiten statt ins Büro zu gehen – die Krise hat schließlich gezeigt, dass das möglich ist. Ähnliches mag für einige Bereiche des Bildungswesens gelten. Kurz gesagt, Covid-19 hat endgültig gezeigt, dass die Digitalisierung in Deutschland erheblich vorangetrieben werden muss. Ich glaube, wir werden bald deutlich größere Investitionen als bisher in IT bzw. in die digitale Infrastruktur sehen.
3. Und die Brexit-Folgen?
Seit dem Referendum im Juni 2016 gab es eine lebhafte Debatte darüber, wie sich der Brexit auswirken würde – auf das Leben sowohl der Briten als auch der Kontinentaleuropäer, auf den internationalen Warenverkehr, auf bestimmte Branchen. Doch die diversen Szenarien blieben zwangsläufig theoretisch, bis mit dem Jahreswechsel die Übergangsphase des EU-Austritts endete: Großbritannien ist jetzt tatsächlich nicht mehr Teil des EU-Binnenmarktes und der Zollunion. Und was wir nun erleben, wird die Märkte wohl noch viele Monate, wenn nicht Jahre beschäftigen: Aufgrund der neuen Handelsbarrieren sind die pan-europäischen Lieferketten gefährdet, es kommt zu Engpässen, wenngleich momentan der Corona-bedingte Lockdown in Großbritannien die Situation entschärft. Zudem mussten etliche britische Unternehmen den Export ihrer Waren in die EU einstellen, weil deren Preise aufgrund der Zollaufschläge nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Wie bereits 2020 werden wohl zahlreiche weitere britische Unternehmen ihren Sitz in ein EU-Land verlegen oder dort eine Filiale gründen. Darunter nicht zuletzt Finanzfirmen. Der volkswirtschaftliche Schaden für Großbritannien dürfte erheblich sein, ganz abgesehen von den gefährdeten Jobs. Auch im Geldbeutel bekommen die Briten den Brexit jetzt zu spüren: Aus der EU eingeführte Waren sind aufgrund der Zölle teurer, die Lebensmittelpreise ziehen an. Wie groß letztlich die Absatzausfälle für EU-Firmen sein werden, bleibt abzuwarten.
4. Wo sehen Sie weitere Trends?
Kryptowährungen sind seit ein paar Monaten verstärkt in aller Munde und werden es bleiben. Das sage ich nicht, weil zurzeit die Kurse von Bitcoin und von zahlreichen Altcoins gegenüber Fiat-Währungen immer neue Höhen erreichen; der Bitcoin etwa war tatsächlich zwischenzeitlich mehr als 60.000 US-Dollar wert, so viel wie nie zuvor. Entscheidend ist jedoch, dass die Coins – je nach ihrer Funktion – vielfach verwendet bzw. angewendet werden und sich das virtuelle Geld zunehmend als eine neue Anlageklasse etabliert. Insbesondere die Finanzbranche hatte da ja lange Vorbehalte. Tatsache ist, dass sowohl Privatanleger als auch institutionelle Anleger weltweit enorme Summen in Kryptos investieren, weil ein von Banken, Regierungen und Behörden unabhängiger Zahlungsverkehr attraktiv erscheint und Zukunft haben könnte. Wer in Bitcoin und Co. investieren möchte, sollte sich natürlich zuvor mit den damit verbundenen Risiken vertraut machen.
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5. In jüngster Zeit wird eine potenziell höhere Inflation diskutiert. Wie schätzen Sie dies ein?
Das ist eine interessante Frage und ein ganz eigenes Thema für sich. Da Regierungen weltweit Konjunkturprogramme aufgelegt und Notenbanken billiges Geld in die Märkte gepumpt haben, um in der Pandemie die leidende Wirtschaft zu stützen, erwarten viele eine bevorstehende Inflation. Aufgrund zahlreicher kompensatorischer oder Ableiter-Effekte wie etwa einer steigenden Sparquote, steigenden Vermögenspreisen oder auch der stark gestiegenen Nachfrage nach digitalen Angeboten während der Pandemie bleibt das aber abzuwarten. Folglich ist es keinesfalls ausgemacht, dass es in diesem Jahr zu deutlichen Zinserhöhungen durch die Notenbanken kommen könnte. Tatsächlich hat die Federal Reserve zugesichert, die Zinssätze so lange nahe null zu halten, bis bei der Inflation ein stetiger Anstieg zu verzeichnen ist.
6. Das wären dann wohl gute Nachrichten für die Aktienmärkte, oder?
Dass sich die Aktienmärkte nach ihrem Crash im Februar/März 2020 so schnell erholt haben und dass diese Erholung – trotz Rücksetzern – bis heute andauert, ist sicherlich auch der Geldschwemme und den Hilfsprogrammen zu verdanken. Vor allem aber scheinen die Anleger weit vorauszublicken in die Zeit nach der Pandemie, für die viele einen regelrechten Wirtschaftsboom erwarten. Diese Hoffnung mag noch eine ganze Weile tragen, zumal es zurzeit zu den potenziellen Zuwächsen an den Aktienmärkten kaum Alternativen zu geben scheint. Eine gewisse Nervosität ist allerdings nicht zu leugnen, so dass jederzeit mit kurzfristig einsetzender Volatilität gerechnet werden muss. Eine durchdachte Auswahl an Titeln aus Branchen, die sich in volatilen Zeiten üblicherweise besser als der Markt entwickeln, kann das Portfolio absichern helfen. Neben der Verteilung des Risikos auf unterschiedliche Anlageklassen mit geringer Korrelation können weniger risikoaverse Anleger volatile Phasen für den kurzfristigen Handel nutzen und kurzfristige Shortpositionen einnehmen – die entsprechende Erfahrung vorausgesetzt.
7. Was ist 2021 für die Märkte auf politischer Ebene zu erwarten?
International ist die weitere Entwicklung des angespannten Verhältnisses zwischen den USA und China von entscheidender Bedeutung. Nachdem Joe Biden im Januar als neuer US-Präsident ins Weiße Haus eingezogen ist, blickt die Welt jetzt gespannt auf seinen Umgang mit der stärksten Wirtschaftsmacht Asiens. Bidens Wahl im November vergangenen Jahres hatte in der EU überwiegend sehr positive Reaktionen hervorgerufen, steht der ehemalige Vizepräsident doch für eine enge politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Europa. Auf nationaler Ebene befinden wir uns in einem Superwahljahr: Von den insgesamt sechs Landtagswahlen und der Bundestagswahl im September sowie von den jeweiligen Regierungsbildungen können in Deutschland wichtige Impulse ausgehen.
8. Ihr Fazit?
An dieser Stelle eines Marktausblicks wäre es normalerweise angebracht, eine BIP-Prognose oder eine Aussicht zu ähnlichen Kennzahlen zu geben. Der Grund, warum ich dies hier nicht tue, ist nicht etwa, dass es diesmal besonders schwierig vorherzusagen wäre – was es tatsächlich ist. Ich denke jedoch, dass die Aussagekraft aus Marktsicht begrenzt ist. Ein globales BIP-Wachstum von bis zu sechs Prozent, wie von einigen Ökonomen prognostiziert, wäre beeindruckend, selbst vor dem Hintergrund der Ausgangsbasis. Andererseits kann nicht ernsthaft vorhergesagt werden, inwieweit die von Regierungen und Institutionen bisher und künftig bereitgestellten Mittel nachfragewirksam werden. Fakt ist lediglich, dass diese Unterstützung so lange aufrechterhalten wird, wie nötig. Das Szenario einer anhaltenden Inflation ist daher nicht unbedingt alternativlos. Im Gegensatz dazu scheint uns der Mangel an zinstragenden Assets jedoch noch für einige Zeit zu begleiten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Tobias Stöhr verantwortet als Sales Executive bei Spectrum Markets die Geschäftsentwicklung der Orderflowprovider. Zuvor war er über elf Jahre in verschiedenen Positionen für die Börse Stuttgart tätig. Spectrum Markets ist eine pan-europäische multilaterale Handelsplattform (MTF) für verbriefte Derivate, die sich an Finanzinstitute und deren Privatanleger richtet und den Handel 24 Stunden an 5 Tagen pro Woche anbietet.
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